Energie:

Warum Erdgas ein schlechter Ersatz für die Kohle ist

30. Oktober 2019, 15:52 Uhr

Die deutsche Energiepolitik setzt auch auf Gaskraftwerke.
(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Von Ralph Diermann

Seit fast sechzig Jahren sorgt das Chemnitzer Braunkohlekraftwerk nun schon dafür, dass es die Bewohner der Stadt im Winter warm haben - die Abwärme aus dem Kraftwerkskessel speist das örtliche Fernwärmenetz. Der mehrfach modernisierte Kohlemeiler hinterlässt allerdings tiefe Spuren in der Klimabilanz der Kommune. Ein guter Grund für den Betreiber, den lokalen Versorger Eins Energie in Sachsen, nun den Stecker zu ziehen: Das Kohlekraftwerk soll in den nächsten Jahren durch emissionsärmere Technologien, darunter zwölf Gasmotoren, ersetzt werden.

Nach einer neuen Studie des Expertengremiums Energy Watch Group (EWG) trägt ein solcher Wechsel von Kohle zu Erdgas aber nichts zum Klimaschutz bei. Zwar stoßen Gaskraftwerke nur rund ein Drittel der CO²-Emissionen von Braunkohlemeilern aus. Dafür geht auf dem langen Weg von den Gasfeldern zu den Kraftwerken einiges an Erdgas verloren. Dessen Hauptbestandteil ist Methan, das um ein Vielfaches stärker zur Erderwärmung beiträgt als Kohlendioxid. Damit wird der Klimavorteil bei den CO²-Emissionen der Studie zufolge wieder zunichtegemacht. Unter Umständen seien Gaskraftwerke sogar deutlich klimaschädlicher als mit Kohle befeuerte Anlagen.

Diese Ergebnisse sind brisant, weil die deutsche Energiepolitik stark auf Erdgas setzt: Zusätzliche Gaskraftwerke sollen den Kohleausstieg und den Ausbau der Wind- und Solarenergie absichern, neue Gaskessel alte Ölheizungen ersetzen und so CO²-Emissionen einsparen. "Es ist völlig absurd, den Wechsel von Kohle und Öl zu Erdgas als Klimaschutzmaßnahme zu betrachten", meint Hans-Josef Fell, Leiter der EWG. Das zeigten mehrere neue Studien vor allem aus den USA, etwa von Wissenschaftlern der Cornell University oder vom California Institute for Technology (Caltech).

Dass bei Förderung und Transport von Erdgas Methan in die Atmosphäre entweicht, ist keine neue Erkenntnis. Ältere Studien maßen dem jedoch nicht allzu viel Bedeutung bei, weil sie die Klimawirkung der Verluste auf einen Zeitraum von hundert Jahren hochrechneten. Die Experten der EWG dagegen haben eine Spanne von zwanzig Jahren zur Grundlage genommen. Das hat große Folgen für die Annahme, wie viel stärker Methan zur Erderwärmung beiträgt als Kohlendioxid. So ist die Klimawirkung von Methan gegenüber CO² laut dem Weltklimarat IPCC bei einer Sicht auf zwanzig Jahre 84-mal größer, bei hundert Jahren dagegen nur 28-mal.

Die Klimawirkung von Methan wird oft stark unterschätzt

Das Vorgehen der EWG ist legitim, meint Klimaforscher Ralf Sussmann vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). "Es ist sinnvoll, einen deutlich kürzeren Zeitraum heranzuziehen, da sich in den nächsten zwanzig Jahren entscheiden wird, ob wir die Erderwärmung auf ein erträgliches Maß begrenzen können", erklärt er.

Der EWG-Studie zufolge schädigen die deutschen Gaskraftwerke das Klima heute im Durchschnitt ungefähr in gleichem Maße wie die Kohlemeiler. Das gilt jedoch nur unter den Bedingungen der derzeitigen Importstruktur - das Erdgas kommt momentan vor allem aus Russland, Norwegen und den Niederlanden. Diese Struktur wird sich im Laufe des nächsten Jahrzehnts aber verändern: Die Niederlande wollen die Gasförderung aufgeben; im Gegenzug dürften die deutschen Importe aus Russland steigen.

Zudem will die heimische Gaswirtschaft mehrere Flüssiggasterminals bauen, über die Erdgas aus den USA und anderen Überseestaaten nach Deutschland gelangen soll. All das verschlechtert die Klimabilanz gasbefeuerter Kraftwerke: Beim Pipelinetransport über lange Strecken, etwa aus Sibirien, entweicht den EWG-Experten zufolge unterwegs mehr Methan als bei Importen aus den Niederlanden oder Norwegen. Erdgas aus den USA ist noch klimaschädlicher, da es vor allem per Fracking gefördert wird. Dabei wird Schiefergestein aufgebrochen, um an das darin gebundene Gas zu kommen. Bei diesem Verfahren verflüchtigt sich in der Regel mehr Methan als bei der konventionellen Förderung.

Allerdings ist die Menge des entweichenden Gases je nach Förderstätte unterschiedlich groß. "Wie viel Methan beim Fracking- und Pipeline-Gas genau in die Atmosphäre gelangt, hängt stark von den eingesetzten Technologien ab", sagt Jakob Wachsmuth vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI. Hier besteht noch Forschungsbedarf. Bislang gebe es nur Daten zu einzelnen Förderstätten. Daher lasse sich pauschal nur eine Bandbreite angeben. Die EWG-Experten gehen davon aus, dass beim Fracking-Gas aus den USA und beim Pipeline-Gas aus Sibirien drei bis 4,5 Prozent der geförderten Menge verloren gehen. KIT-Forscher Sussmann hält gar einen Schwund von bis zu sechs Prozent für möglich. In diesen Fällen wären Gaskraftwerke nicht klimafreundlicher als Kohlemeiler, denn die Bilanz ist nur besser, wenn nicht mehr als 3,2 Prozent des geförderten Methans entweichen.

Was tun? Auf Gaskraftwerke zu verzichten, ist keine Lösung - die hoch flexiblen Anlagen eignen sich sehr gut, kurzfristig Defizite auszugleichen, die entstehen, wenn Windräder und Solaranlagen schwächeln. Die Methanverluste könnten Sussmann zufolge jedoch durch technische Maßnahmen deutlich reduziert werden. "Gerade bei der Förderung gibt es viele Möglichkeiten, Leckagen zu vermeiden. Die Unternehmen könnten zum Beispiel eine Art Zelt über den Bohrlöchern aufspannen, das Methan auffängt", sagt Sussmann. Zudem ließe sich das Erdgas mehr und mehr durch synthetisches Gas ersetzen, das per Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Quellen hergestellt wird und daher klimaneutral ist. "So könnte die vorhandene Gasinfrastruktur genutzt werden, um die Energiewende voranzubringen", sagt EWG-Experte Fell.


SZ vom 30.10.2019

Klimawandel:

Die Lösung des Methan-Puzzles

16. Februar 2018

Gasförderung per Fracking, hier im US-Bundesstaat Pennsylvania, wird von Umweltschützern heftig kritisiert.
(Foto: dpa)

Von Toralf Staud

Das Rätsel beschäftigte Klimaforscher jahrelang: Woher bloß kommt das viele Methan? Sein Anteil an der Erdatmosphäre begann vor gut zehn Jahren plötzlich stark zu steigen. Und die Erklärungen, die Wissenschaftler dafür vorbrachten, widersprachen sich. Nun hat ein Forscherteam der Nasa das Rätsel gelöst und einen verbreiteten Verdacht bestätigt: Die Erdgasförderung per Fracking ist wohl eine der größten Quellen - und daher ein erhebliches Klimaproblem.

Methan ist das zweitwichtigste menschengemachte Treibhausgas, etwa ein Fünftel der bisherigen Erwärmung der Erde geht auf sein Konto. Die jährlich freigesetzten Mengen sind zwar viel kleiner als bei Kohlendioxid, auf das sich die Klimadebatte meist konzentriert. Doch jedes Methanmolekül hat ein Vielfaches der Treibhauswirkung von CO² - je nachdem, welchen Zeitraum man betrachtet, schädigt eine Tonne Methan das Klima 28- bis 84-mal so stark wie eine Tonne Kohlendioxid. Seit Beginn der Industrialisierung hat sich die Konzentration von Methan in der Atmosphäre mehr als verdoppelt - von Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Jahr 2000 war sie von etwa 720 Teilchen pro Milliarde (ppb) Luftmoleküle auf mehr als 1750 ppb gestiegen.

Im Jahr 2007 registrierten Atmosphärenforscher eine Überraschung: Nach einigen ruhigen Jahren verstärkte sich die Zuwachsrate plötzlich. Bis heute ist die Konzentration bereits auf etwa 1850 ppb gestiegen. Besorgt machten sich Wissenschaftler auf die Suche nach der Ursache - eine Detektivarbeit, denn Methan entsteht bei sehr vielen Prozessen.

Messflugzeuge erschnüffelten über amerikanischen Anlagen drastisch erhöhte Werte

Waldbrände als Ursache für den Methananstieg schlossen die Forscher schnell aus, weil - so zeigten Satellitenaufnahmen - die weltweit verbrannten Flächen seit Mitte der 2000er-Jahre gesunken waren. Auch andere mögliche Quellen wurden geprüft und verworfen, etwa brennende Torfböden in Indonesien oder tauende Permafrostgebiete wie etwa in Sibirien.

2016 präsentierte ein Forscherteam um den Neuseeländer Hinrich Schaefer eine überzeugende Erklärung: Sogenannte biogene Quellen müssten die Ursache sein, also Methan aus Fäulnisprozessen von Biomasse, schrieben sie im Magazin Science. Dieses Methan zeige nämlich eine charakteristische Verteilung verschiedener Kohlenstoff-Isotope, die sie in der Atmosphäre wiedergefunden hätten. Konkret machte das Team die Landwirtschaft verantwortlich, etwa den in Asien weitverbreiteten Anbau von Reis auf leicht überschwemmten Äckern und die weltweit gigantischen Herden von Rindern, aus deren Mägen ständig Methan entweicht.

Praktisch zeitgleich präsentierten andere Wissenschaftler jedoch - mit ebenso plausiblen Argumenten - einen anderen Hauptschuldigen: die Energiebranche. Methan ist der Hauptbestandteil von Erdgas, Lecks an Bohrlöchern und Pipelines sind ein bekanntes Problem. Mitte der 2000er- Jahre hatte in den USA ein Boom der Öl- und Gasförderung mittels Fracking eingesetzt. Bei dieser unkonventionellen Fördermethode wird unterirdisches Gestein unter hohem Druck aufgesprengt - und Kritiker wiesen früh darauf hin, dass dabei viel Methan unkontrolliert frei werde.

Diese Spur verfolgte unter anderem Ralf Sussmann, gemeinsam mit Kollegen betreibt er auf dem Gipfel der Zugspitze ein Labor des Karlsruhe Institute of Technology (KIT). Bei wolkenlosem Himmel wird dort Sonnenlicht aufgefangen und mit einem Spektrometer analysiert. Weil jedes Spurengas in der Atmosphäre die Lichtwellen einer ganz bestimmten Frequenz filtert, kann aus zerlegten Sonnenstrahlen herausgelesen werden, wie hoch die Konzentration jedes Gases in der Atmosphäre ist. Das Team um Sussmann maß aber nicht direkt Methan, sondern Ethan, das ebenfalls bei der Erdgasförderung frei wird. Die Spektralmessungen von der Zugspitze belegten, dass auch Ethan von Mitte der 2000er-Jahre an in der Atmosphäre stark zunahm. Daraus schlossen die Forscher, dass mindestens 40 Prozent, wahrscheinlich sogar viel mehr des seit 2007 zusätzlich frei gewordenen Methans, aus der Öl- und Gasförderung stammen müssten.

Die Verblüffung war groß, denn beide Erklärungen gleichzeitig konnten nicht stimmen. Addierte man nämlich die zwei Quellen - biogenes Methan und solches aus der Öl- und Gasförderung - sowie alle anderen bekannten, dann ergab sich ein Wert, der die tatsächliche Methanmenge in der Atmosphäre überstieg. Es seien wohl noch "wissenschaftliche Durchbrüche nötig", resümierte ein Editorial in den Environmental Research Letters frustriert.

Die Widersprüche befeuerten den Streit, der seit Jahren zwischen Anhängern und Gegnern des Fracking tobt: Erstere verweisen darauf, dass Erdgaskraftwerke viel weniger CO² ausstoßen als Kohleblöcke, und dass billiges Erdgas aus Fracking beim Kohleausstieg helfen könne. Letztere warnen vor den großen Methan-Leckagen der Fördermethode, die den Klimavorteil von Gaskraftwerken zunichte machten. Seit etwa 2010 erschienen immer mehr Studien, die diese Warnungen stützten. So erschnüffelten Messflugzeuge über US-Fracking-Gebieten drastisch erhöhte Methanwerte. Doch Befürworter der Technologie konnten kritische Befunde als falsch oder als Einzelfälle zurückweisen - die globale Methan-Bilanz ging ja nicht auf, die Forschung zum Thema wirkte unverlässlich.

Wenn nicht alles täuscht, hat ein Team um den Atmosphärenphysiker John Worden vom Jet Propulsion Laboratory der Nasa im kalifornischen Pasadena das Methan-Rätsel nun gelöst. Es hatte sich noch mal die Emissionen aus Waldbränden vorgenommen, vermaß nicht nur mit Satelliten die weltweit abgebrannten Flächen, sondern untersuchte auch die Atmosphäre. So wie Ralf Sussmann auf der Zugspitze Ethan als Stellvertreter-Maß für Methan aus der Erdgasförderung nahm, nutzte Worden einen Indikator für Methan aus Waldbränden: Kohlenmonoxid, das ebenfalls bei Waldbränden entsteht. "Eine hervorragende Studie", sagt Sussmann über die Arbeit, die jüngst in Nature Communications erschien.

Vorherige Untersuchungen hatten den Rückgang der Methanemissionen aus Waldbränden stark unterschätzt. Seit 2007 ist aus dieser Quelle nur etwa halb so viel des Gases frei geworden wie bislang gedacht. Korrigiert man nun diesen Posten nach unten, bleibt genug Raum in der globalen Methan-Bilanz für hohe Emissionen aus Landwirtschaft und Energiebranche. Das Methan-Puzzle geht auf. Für die Wissenschaft ist das eine gute Nachricht - aber eine schlechte fürs Klima und für die Anhänger des Fracking.


aus der SZ vom 16.02.2018